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Am Rande der Dinge / Im Zentrum des Raums


Die Bildhauerin und Objektkünstlerin Anna Holzhauer zählt zu jener Generation

von Künstlerinnen und Künstlern, die längst keinen Sinn mehr darin sehen, der

Fülle von Artefakten, welche die Kunstgeschichte vorzuweisen hat, wahllos neue

hinzuzufügen. Holzhauer geht hierbei grundsätzlich konzeptionell vor. Sie

reagiert mit großer Sensibilität auf Vorhandenes und Gesehenes, indem sie mit

dem sparsamen und gezielten Einsatz skulpturaler Setzungen und installativer

Eingriffe auf den Ausstellungsort beziehungsweise auf den Aufstellungsort

eingeht. Mit ihrer unmittelbaren Reaktion auf den Raum umkreist die Künstlerin

ein Thema eher, als dass sie es endgültig abzuschließen versucht. Und hierin wird

bereits ein zentraler Aspekt ihrer künstlerischen Vorgehensweise offenbar:

Holzhauer stellt sich mit ihrem an Minimal Art und Konzeptkunst angelehnten

künstlerischen Ansatz den architektonischen Vorgaben des Ausstellungsraumes.

In dieser Auseinandersetzung entwickelt sie vor allem begehbare Räume und

plastische Gefüge, die einerseits den gegebenen Ort verändern und ergänzen,

andererseits dessen inneren Aufbau begreifbar und erfahrbar werden lassen.


In besonderer Weise trifft dies auf Anna Holzhauers temporäre Interventionen

im Märkischen Museums Witten zu. Sowohl im ‚Gartensaal‘ als auch im Foyer

wird der Boden des Ausstellungsraumes beziehungsweise des Aufstellungsortes

zum Sockel, auf dem der Betrachter sich als Teil der Anordnung wieder findet.

Gleichsam als Referenz kann ihre Arbeit gelten, die gegenüber einem fast

pathetisch-theatralen Grabmonument des Barocks positioniert ist. In deutlichem

Kontrast zu dieser Skulpturengruppe und der sie umgebenden postmodernen

Architektur nimmt sich Holzhauers klare und präzis gegliederte Installation

äußerst reduziert, gar minimalistisch aus. Die formale und konzeptuelle Strenge

ihrer fragilen und doch zugleich den Raum prägenden Konstruktion wird durch

eine nahezu emphatische Wechselbeziehung zum Umraum gemildert. Die

Setzung im Raum erscheint leicht lesbar und begreifbar, weil alle wesentlichen

strukturellen Aspekte unmittelbar einsehbar sind. Wie auch bei einer Vielzahl

weiterer Werke der Künstlerin handelt es sich hierbei um eine Anordnung, die im

Raum einen veränderten oder gar neuen Kontext entstehen lassen kann. Nicht

die große Geste interessiert sie, sondern die präzise Setzung ist bei diesen

Arrangements entscheidend. Beiläufig unterwandert Holzhauer so die stark in

der Theorie verhafteten Strategien der Minimal Art und der Konzeptkunst.

Die Konstellation der plastischen Elemente im Raum ist körperlich zu erfahren.

Dem Betrachter wird als Beteiligtem in der Beziehung zwischen Künstler und

Werk eine entscheidende Aufgabe zuteil. Damit ist Anna Holzhauers plastisches

Konzept in direkter Linie mit solchen künstlerischen Haltungen verbunden, die

über die Idee von der Kunst als Kontext auf die Gestaltung der Alltagswirklichkeit

und die Selbsterfahrung des Individuums abzielen.

Zudem lassen ihre Arbeiten nur bedingt Rückschlüsse auf eine mögliche Zweck-

bestimmung zu. Wenn sie zunächst auch den Anschein erwecken, in Struktur

und Konzeption funktionalen Prinzipien zu folgen, so genügen sie sich doch

als Gegenstände und Objekte des ‚praktischen Nichtgebrauchs‘. Innerhalb des

Wahrnehmungsprozesses umkreisen ihre Arbeiten Begrifflichkeiten, die mit

Fragen nach dem Raum verbunden sind, dennoch lassen sie sich nicht

ausschließlich auf diese reduzieren. Ohne praktisch genutzt werden zu können,

bieten sie den Ausgangspunkt für die Befragung einer vertraut erscheinenden

‚Dingwelt‘. Indem Holzhauer Begriffe und Aussagen lediglich andeutet, wird die

Basis zu einer vor allem assoziativen Weiterführung geschaffen. Genau dieser

Umstand wird schließlich zum entscheidenden Werkzeug des Reflexionsprozes-

ses. Denn als funktionsunbrauchbare Artefakte bieten diese Werke weit reichende

Erfahrungsmöglichkeiten, die im Zwischenbereich von ‚Dingdefinition‘ und

‚Dingbenutzung‘ liegen. Begreifbar und anwendbar werden sie schließlich im

Vollzug einer ästhetischen Erfahrung. Denn erst die Assoziations- und Imagina-

tionsfähigkeit des Betrachters weist über die unzugängliche Realität der Dinge

hinaus. 


Anna Holzhauers Plastiken, Objekte und Installationen bewegen sich zwischen

Ding und Denken, indem sie als ‚Annäherungen‘ an eine wie auch immer gearte-

te, räumlich erfahrbare Wirklichkeit funktionieren und zugleich eine große

Ambivalenz wahren. Damit entziehen sich diese Werke häufig auch allen weiter-

gehenden Versuchen, sie über das Sichtbare hinaus zu versprachlichen oder zu

intellektualisieren. Denn Holzhauer verhandelt Kategorien des Raumes, denen in

erster Linie auf dem Wege des ‚Erfahrens‘ und des ‚Begreifens‘ (im Wortsinne!)

beizukommen ist. Ein großes Interesse an den Schnittstellen zwischen Innen und

Außen, an der Frage nach der Oberfläche der Dinge kommt ebenso zum Aus-

druck wie auch der Aspekt des Fragmentarischen und Fragilen. In anderen

Worten: Holzhauers Arbeiten thematisieren Erscheinungsformen des ‚Sowohl‘

und des ‚Als auch‘. Maßgebend hierfür ist die Erkenntnis, dass sich Raumkunst

auch den Bedingungen stellen muss, wie sie durch die Architektur dem

Künstler (zunächst) unveränderlich vorgegeben sind. Mit der Veränderung und

teilweisen Aufhebung der ursprünglichen räumlichen Struktur formuliert Anna

Holzhauer eine diskrete Referenz auf jene Ansätze, die sich mit der Inszenierung

von Kunst im so genannten ‚white cube‘ auseinander setzen. 


Anna Holzhauers Werk ist im besten Sinne des Wortes ‚zeitlos‘: Die Künstlerin

ermöglicht grundlegende Erfahrungen von Körper und Raum, indem sie die

Seherfahrung und die Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters fordert. Anhand

einiger weniger – scheinbar simpler – Elemente im Raum und Koordinationspunk-

te gelingt es dieser Künstlerin mit einer bemerkenswerten Konsequenz Raum

zu artikulieren. Die veränderbare Position des Betrachters spielt hierbei eine

entscheidende Rolle. Nicht nur in formaler Hinsicht wird dieser von dem Raum

zwischen den Elementen, der ‚Leere‘, umgetrieben und in seinem Sehen und

Reflektieren gefordert. Dies erfordert Einfühlung, Geduld und Zeit. Der Prozess

des Sehens wird hier zur eigentlichen Arbeit: in und mit dem Raum.


Dirk Steimann


On the edge of things / In the centre of the space


Sculptor and object artist Anna Holzhauer hails from a generation of artists who

decided long ago that there was little point in indiscriminately adding to the mass

of artefacts produced by art history. As such Holzhauer‘s approach is profoundly

conceptional. She responds with great sensitivity to already existing things or

things she has encountered, by reacting to the exhibition space – or perhaps one

should say ‘arrangement space’ – using the precise and economic means of

sculptural placement and installational intervention. In reacting directly to the

space the artist prefers to circle around a theme rather than try to nail it conclusi-

vely. And this leads us to a critical aspect of her modus operandi: Holzhauer leans

on Minimalism and Conceptual Art to tackle the architecture of the exhibition

space. In the course of her investigation she primarily develops walk-in spaces

and sculptural structures which, on the one hand, alter and complement the

preexisting space, and on the other, invite the viewer to explore and experience

their interiors.


Anna Holzhauer‘s temporary interventions in the Märkisches Museum, Witten

are a case in point. In both the ‘Gartensaal’ (garden hall) and the foyer, the floor

of the exhibition or rather ‘arrangement’ space becomes a pedestal on which

viewers find themselves as part of the setup. At the same time her work also

functions as a reference, positioned opposite a melodramatic Baroque funerary

monument. In clear contrast to this group of sculptures and the postmodern

architecture surrounding them, Holzhauer’s clear and precisely articulated

installation looks reduced, minimalistic even. The formal and conceptual rigour of

her construction that despite it fragility shapes the room, is offset by an almost

expressively reciprocal relationship with the surrounding space. Her installational

intervention in the space appears easy to read and comprehensible because all its

major structural aspects are immediately visible. As in a number of other works

by the artist this is an arrangement that can alter or recontextualize the space

entirely. Holzhauer has no interest in grand gestures; her arrangements are

defined by precision of placement. In this way Holzhauer casually infiltrates the

strategies of Minimal and Conceptual art, which are so firmly anchored in theory.

The constellation of sculptural elements in the room is experienced physically.

Holzhauer bestows a critical function on the viewers, involving them in the

relationship between artist and artwork. This directly aligns Anna Holzhauer’s

sculptural concept with artistic positions that use the idea of art-as-context to

affect our everyday reality and the individual sense of self. 

Furthermore her works allow only limited speculation regarding any potential

purpose they might serve. Although on first glance they might appear to follow

principles of function in their structure and conception, they very much stand for

themselves as objects and things of ‘practical non-use’. Within the perception

process her works encircle notions linked with questions of space, and yet they

resist being reduced to this alone. Although they have no practical use they

provide a starting point for investigating the seemingly familiar world of things. By

merely suggesting concepts and statements Holzhauer creates the foundations

for a predominantly associative approach. Precisely this becomes the decisive tool

in the reflection process. As functionless artefacts, these works offer a broad

range of experiential possibilities that lie at the interface of a thing‘s definition and

its use. They ultimately become comprehensible and useable in the course of the

aesthetic experience. After all it is only the viewer‘s powers of imagination and

association that transcend the inaccessible reality of things. 


Anna Holzhauer‘s sculptures, objects and installations oscillate between thing

and thinking, they function as ‘approaches’ towards all forms of physically

tangible reality, while remaining overwhelmingly ambivalent at the same time.

Holzhauer negotiates categories of space that we are able to access primarily

through ‘experience’ and ‘grasping’ (literally!) and thus the works often refuse any

attempt to intellectualize or verbalize them beyond the realm of the visible. Her

fascination with the interface of inside and outside, with what constitutes the

surface of things informs the work just as deeply as the fragmentary and fragile

aspects. In other words, Holzhauer‘s works address manifestations of ‘both ...

and’. Here is is important to note that the installation art must also face the

architectural conditions that initially faced the artist. By changing and sometimes

overriding the original structure of the space Anna Holzhauer subtly references

artistic approaches that deal with showing art in the ‘white cube’. 


Anna Holzhauer‘s work is ‘timeless’ in the best sense of word. The artist facilita-

tes fundamental physical and spatial experiences by making demands on the

viewer‘s ability to see and perceive. Using a few – seemingly simple – coordina-

tion points and elements in space the artist articulates space with remarkable

consistency. The shifting position of the viewer is key here. The ‘empty space’

between the elements encourages the viewer to move about and challenges them

visually and mentally. This demands empathy, patience and time. The process of

seeing becomes the real work here, in and with the space. 


Dirk Steimann